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Sexistische Lieder senden klares Signal

Stellungnahme des Frauennotruf Heidelberg zu frauenfeindlichen Liedern auf dem Marktplatz

Am 21. Februar 2023 fand im Anschluss an den Fastnachtsumzug in Heidelberg eine von der Stadt genehmigte Faschingsparty auf dem Marktplatz statt. Dabei wurden sexistische Lieder gespielt, die von vielen Feiernden mitgegrölt wurden. Wir, der Frauennotruf Heidelberg, unterstützen die Kritik, die die RNZ in ihrem Artikel „Zu ‚Layla‘ grölten viele mit“ vom 23. März 2023 geübt hat. Diese möchten wir um unsere Haltung und Erfahrung als Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt ergänzen.

Dass die Stadt Heidelberg es zugelassen hat, eine öffentliche Großveranstaltung mit sexistischen Liedern zu bespielen, ist beschämend. Und das ausgerechnet in der Altstadt. Denn als Fachberatungsstelle wissen wir: Die Heidelberger Altstadt ist für Frauen* und Mädchen* oft kein sicherer Ort, sondern ein Tatort.

Auszug eines Flyers des Frauennotruf Heidelberg: K.O.cktail? Fiese Drogen im Glas

In Deutschland erlebt etwa jede siebte Frau ab 16 Jahren mindestens einmal sexualisierte Gewalt, die im engeren strafrechtlichen Sinne relevant ist: das heißt Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung. Gerechnet auf die Stadt Heidelberg sprechen wir von etwa 10.000 betroffenen Frauen*. Statistisch gesehen sind mehr als 40.000 Frauen* in Heidelberg mindestens einmal sexuelle Belästigung erlebt.

Die meisten Frauen* und Mädchen*, die wir in unserer Fachberatungsstelle begleiten, sind (auch) beim Feiern von sexualisierter Gewalt betroffen: Das Spektrum reicht von anzüglichen Blicken bis hin zu Vergewaltigungen unter schwerer körperlicher Gewaltanwendung und/oder Einsatz von K.O.-Tropfen. Unsere Statistik 2022 zeigt: Etwa einmal im Monat wendet sich eine Frau* an uns, die beim Feiern in der Altstadt vergewaltigt wurde. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher sein.

Viele unserer Klientinnen wollen feiern gehen. Sie wollen ihr Leben leben, und da gehört Feiern natürlich dazu! Doch sie trauen sich nicht (mehr). Unsere Feierkultur in Heidelberg muss die Sicherheit von Frauen* und Mädchen* an erste Stelle setzen – und nicht deren Gefährdung und Herabwürdigung begünstigen.

Auszug aus einem Flyer mit dem Titel K.O.-Tropfen im Glas - ein Mythos? Leider nicht! Er enthält eine kurze Definition von K.O.-Tropfen

Reduzierungen auf das Aussehen und Alter, Objektifizierung und Abwertung von Frauen* – „Layla“ verkörpert Sexismus. Im Gegensatz zur Vielzahl anderer problematischer Lieder hat dieser Song besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Egal, wie die persönliche Haltung zu diesem Lied ist: Wer es nach den ganzen Debatten noch spielt, ist sich seiner Außenwirkung bewusst. Wer es spielt, schafft für viele einen Raum des Unwohlseins und Unwillkommenseins. Es ist besonders zynisch, ein Lied mit „Sexismus-Label“ laut ertönen zu lassen, wenn jedes Wochenende eine Ecke weiter Frauen* zu sexuellen Handlungen genötigt werden.

So wie Sauflieder dazu anregen, mehr Alkohol zu konsumieren, senken sexistische Lieder die Hemmschwelle, sexualisierte Gewalt auszuüben. Songs wie „Layla“ sind ein Nährboden dafür. Auch, wenn man sich dieses Lied gespart hätte, hätten sich bei diesem Fasching in Heidelberg Menschen sexuell übergriffig verhalten. Aber wozu ein Problem verstärken, das ohnehin schon schlimm genug ist?

nachtsam-logo: Kampagne für mehr Sicherheit im Nachtleben

Es ist die Entscheidung der Stadt, welche Regeln bei einer Großveranstaltung im öffentlichen Raum gelten. Wenn mitten in der Altstadt eine breite Masse mit solchen Inhalten bespielt wird, sendet das ein Signal an alle – ob übergriffig, betroffen oder „unbeteiligt“: Hier ist Platz für Sexismus. Bei der Frage, ob man Layla spielt, geht es nicht um musikalischen Geschmack, sondern um die Lebensgrundlage von Frauen* und Mädchen* in unserer Stadt: Fühle ich mich hier sicher? Dass sich alle beim Feiern wohlfühlen können setzt voraus, dass alle teilnehmenden und mitgestaltenden Instanzen Haltung zeigen – vom Zugmeister und Karnevalkomitee bis hin zum Stadt-Marketing Chef und Oberbürgermeister.

Logo von "Luisa ist hier" - eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung

Menschen zu berücksichtigen, die durch Sexismus diskriminiert und von sexualisierter Gewalt betroffen sind, sollte 2023 in Heidelberg selbstverständlich sein. Ein Mindestanspruch muss sein, dass Stadt und Karnevalkomitee vereinbaren, keine sexistischen, rassistischen oder anderen menschenverachtende Inhalte im öffentlichen Raum zu spielen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, weshalb städtische Veranstaltungen kein Awareness-Konzept haben. Gibt es Ansprechpersonen für Hilfesuchende? Werden Veranstaltende für diese Problematik sensibilisiert?

Als Frauennotruf setzen wir uns dafür ein, dass Frauen* und Mädchen* selbstbestimmt und frei von
sexualisierter Gewalt leben können. Gleichberechtigung äußert sich nicht durch schöne Worte, sondern durch Handlungen. Diese wurden dieses Jahr auf der Bühne vermisst. Wir alle sollten uns fragen: Welches „Kulturgut“ gilt es bei sexistischen Liedern zu schützen? Wenn das unsere Feierkultur sein soll, dann gibt es daran nichts zu feiern.

Die RNZ hat unsere Stellungnahme aufgegriffen und am 06.03.2023 im Artikel „Layla –Beschallung sorgt weiter für viel Kritik“ veröffentlicht.

Frauen* und Mädchen*, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, können sich an die Fachberatungsstelle des Frauennotruf wenden. Wir bieten kostenlose Beratungen für Frauen*, Mädchen* und Bezugspersonen an. Informationen zu unseren telefonischen Beratungszeiten finden Sie hier.