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Sexuelle Übergriffe in Köln, Hamburg und Stuttgart

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Stellungnahme des Frauennotruf Heidelberg

Wir, der Frauennotruf gegen sexuelle Gewalt an Frauen und Mädchen e.V. in Heidelberg unterstützen und begleiten bereits seit 37 Jahren Frauen und Mädchen (ab 14 Jahren), die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Wir begleiten sie bei Anzeigen und den Strafprozessen. Wir begleiten sie, wenn das Verfahren eingestellt wird und sie die neuerlich erlebte Ohnmacht verarbeiten müssen. Wir begleiten sie bei der Verarbeitung der seelischen Verletzungen, wenn sie durch die Tiefen des erlebten traumatischen Geschehens gehen, um ihren Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu führen. D.h. wir wissen um die vielfältigen Folgen sexualisierter Gewalt – egal, wer sie wann und wo ausübt.

Wir freuen uns, dass Politik und Gesellschaft eine konsequente Haltung gegenüber diesen abscheulichen Straftaten in Köln, Hamburg und Stuttgart zeigen. Der Wille zur Veränderung ist da. Allerdings muss von der Politik und der Öffentlichkeit auch zur Kenntnis genommen werden, dass sexualisierte Übergriffe und Gewalt Alltagsrealität für viele Frauen in Deutschland darstellen:  Mehr als jede zweite Frau ist von sexueller Belästigung betroffen – auf der Arbeit, auf der Straße oder an anderen Orten. Jede siebte Frau erlebt in Deutschland schwere sexuelle Gewalt (sexuelle Nötigung, Vergewaltigung).

Schriftzug "Gegen sexualisierte Gewalt. Für ein selbstbestimmtes Leben" auf orangenem Hintergrund

In Deutschland sollten generell sexualisierte Übergriffe geächtet und die Betroffenen gehört werden. Auch im Schulalltag, in Bussen und Straßenbahnen, in den Discotheken berichten Mädchen und junge Frauen von sexualisierten Übergriffen – und oftmals werden sie nicht gehört. Die Gesellschaft muss deutlich machen, wir dulden keine sexuellen Übergriffe!

Die CDU fordert „schnelle Strafen für die Täter“. Herr Sigmar Gabriel (SPD) fordert „Null Toleranz gegenüber Kriminalität und sexuellen Übergriffen“.  Beide Parteien haben hier v.a. Migranten und Asylbewerber im Blick, nämlich die Täter in der Silvesternacht. Wir fordern schnelle und konsequente Strafen für alle Sexualstraftäter und „Null Toleranz“ gegenüber allen Sexualstraftätern sowie eine konsequente Anwendung des Opferschutzes im Sexualstrafrecht.

Und: Wir fordern auch – mit dem Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe e.V.  – eine Reform des Sexualstrafrechtes unter Einhaltung der Istanbuler Konvention! Wir brauchen ein Gesetz, so will es die Europäische Konvention zur Gewalt gegen Frauen, das dem Täter abverlangt, nachzuweisen, dass die Frau (oder auch der Mann) in die sexuellen Handlungen eingewilligt hat. Die Beweisführung ist auch da schwierig, sie würde aber dem Opfer die demütigenden Verfahren ersparen. Das Deutsche Menschenrechtsinstitut hat gemeinsam mit dem Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe e.V.  eine Studie zu den Strafverfolgungshindernissen durchgeführt, in der 107 Fälle von schweren sexuellen Übergriffen anhand von Einstellungsbescheiden und Freispruchsbegründungen analysiert wurden.

Die Ergebnisse zeigen erhebliche Schutzlücken im deutschen Sexualstrafrecht auf.  Nach Angaben des Bundesamtes für Justiz werden jährlich ca. 8.000 Vergewaltigungen angezeigt. Verschiedene Studien kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass nur 5 – 15 % der Betroffenen eine Anzeige erstatten. Die meisten Verfahren werden bereits vor dem Strafprozess von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Im Jahr 2012 kam es nur in 8,4% der angezeigten Fälle zu einer Verurteilung des Täters, so das Bundesamt für Justiz. Nein sagen, reicht nicht aus.  D.h. wir sind einem rechtsfreien Raum ziemlich nahe.

Schnelle Abschiebung und eine Verschärfung des Asylrechts werden gefordert. Wir betonen obige Forderung nach einer Reform des Sexualstrafrechts und sprechen uns gegen eine weitere Verschärfung des Asylrechts aus! Es schützt nicht und gießt nur Wasser auf die Mühlen der Fremdenfeindlichkeit. Lassen Sie uns gemeinsam solidarisch sein mit unseren Schwestern in Syrien, Marokko etc. Die Straftaten müssen hier geahndet und abgebüßt werden und das Asylverfahren unabhängig davon bearbeitet werden. In vielen Ländern dieser Welt ist es Frauen noch viel schwieriger oder gar unmöglich, eine Anzeige zu erstatten und Schutz zu bekommen.

Es werden auch Forderungen nach mehr Überwachung laut – verdachtsunabhängige Personenkontrollen, mehr Videoüberwachung und Schleierfahndung. Wir wollen ein freiheitliches, demokratisches Land sein und bleiben! Wir sind gegen weitere Überwachungen, sondern  fordern  auf, diese Finanzmittel in die Prävention zu stecken! In allen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Heimen, aber auch in Pflegeeinrichtungen für Menschen mit Behinderung und alten Menschen müssen Schutzkonzepte her, die den dort arbeitenden Menschen klare Handlungsanweisungen geben, wie sie sich zu verhalten haben bei sexualisierten Übergriffen. Der Bundesbeauftragte für Fragen bei sexuellem Missbrauch, Herr Rörig, hat mit seiner Bestandserhebung auf diesen Bedarf hingewiesen.  Diese Schutzkonzepte müssen in den Einrichtungen erarbeitet werden und allen Mitarbeiter*innen bekannt sein und gelebt werden!

Es braucht öffentlichkeitswirksame Kampagnen, die deutlich machen, dass die Grenzen anderer Menschen sowie deren sexuelle Integrität unantastbar sind.

Und wir geben zu bedenken: Wir leben in einem Land, das mittlerweile zur Hochburg des Menschenhandels in Europageworden ist. Körper, v.a. Frauenkörper, können gekauft werden. Frau wird zum Objekt, zur Ware, kann somit benutzt werden. Wir, die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des Frauennotrufs gegen sexuelle Gewalt an Frauen und Mädchen e.V., fordern deshalb ein Verbot der Prostitution und die Bestrafung der Freier.

Sexualisierte Übergriffe und Gewalt sind ein gesellschaftliches Problem und müssen gesamtgesellschaftlich bekämpft werden. Wir müssen auf alle Taten konsequent reagieren und vor allem alle Betroffenen ernst nehmen. Sexualisierte Übergriffe und Gewalt haben keinen Raum in einer Demokratie. Frei und selbstbestimmt leben zu können – ohne Gewalt – muss selbstverständlich werden. Lassen wir nicht nach in unseren Anstrengungen, diesem Ziel näher zu kommen!